Dienstag, 11. Juni 2013

Englische Ferien IV - Cardiff - Port Talbot - Cardiff

Um es gleich zu sagen, Cardiff ist merkwürdig, zwar schön, aber merkwürdig. Die Stadt wirkt modern, grosszügig und touristisch sehr interessant, überall stehen moderne Appartmenthäuser und Glaspaläste. Gleichzeitig wirkt die Stadt nur halb voll und man sieht nicht viele Leute auf der Strasse und Fahrräder schon gar nicht. Der Hafen von Cardiff war der weltweit grösste Umschlagplatz für Kohle, mit Betonung auf war..., heute findet man dort Wohnungen, Restaurants und eine gigantische Konzerthalle, aber von was die Leute in der Region wirklich leben (nebst Universität), ist uns nicht so ganz aufgegangen.

Zunächst haben wir uns auf die Geschichte konzentriert und uns die sehenswerte Burg von Cardiff bei schönstem Wetter und der obligaten "little breeze" (also Windstärke 4) angeschaut. Das Ganze ist etwas zusammengewürfelt, da jede Epoche, jeder Eroberer seinen Teil dazugebaut hat. Im 2. Weltkrieg wurde die Burg auch als Krankenhaus genutzt und ein alter Gang zeigt eindrücklich wie das Ganze praktisch umfunktioniert wurde.Vom Dach der Burg hat man einen schönen Blick über die Stadt und man steht direkt unter der walisischen Fahne mit dem roten Drachen (Ddraig) genannt, der wie ein Wahrzeichen über der Stadt weht.
Das Motto der Flagge bedeutet Y Ddraig Goch ddyry cychwyn so in etwa "der rote Drachen rückt vor" und symbolisiert den Sieg des roten Drachens (die Kelten oder eben die Waliser), der zunächst schwächer war, über den weissen Drachen (die Briten), was aber natürlich alles nur eine Legende ist... und überhaupt keine Anspielung auf die merkwürdige Beziehung zwischen England und Wales ist. Als ich im Büro erzählt habe, dass ich nach Cardiff in die Ferien ginge, wurde ich entweder ausgelacht oder besorgt angekuckt, so nach dem Motto: was willst Du denn da? Und viele Kollegen haben mir abgeraten dahinzufahren, denn Cardiff sei eher "grimm" und hässlich... aber auf Nachfrage war keiner je dort... :-) so viel zum "United Kingdom"...

Uns hat die Burg jedenfalls gefallen und die Stadt mit der modernen Fussgängerzone (!) und dem Markt beeindruckt. Schweren Herzens nahmen wir Abschied von unseren Freunden Ariella und Mike, die sich aufmachten nach Bath ins Thermalbad und  zum ersten "Schwiegerelternbesuch".



Um mehr von Wales zu sehen, habe ich mir auf der Karte mit weiblicher Intuition (also wegen dem schönen Namen) einen Ort ausgesucht, wo ich Benno hin navigiert habe, auf der Suche nach Meer und Strand. Wir fanden uns in Port Talbot wieder und das hat mich schwer beeindruckt. Mit der Autobahn fähr man bequem hin und das erste, dass mir auffiel, waren relativ karge Hügel und rauchende Schlote. Eine Industriezone, die wir uns als naive Schweizer nicht vorstellen können, breitet sich am Meer aus mit alten Fabrikanlagen, rauchenden Schloten und sehr hässlichen Metallgebäuden. So richtig wie auf den alten Bildern, wenn an der Uni von Adam Smith und seinem Kapitalismus die Rede war. Und das ist nicht nur eine kleine Industrie am Rande einer Stadt, sondern ein Gebiet, vielleicht so gross wie Winterthur. Daneben, aber wirklich gleich daneben, fanden wir den Ort Port Talbot, wo sich alles um das grosse Einkaufszentrum, den Tesco dreht und wo wir ein so richtig hässliches England fanden, mit Reihenhäuschen in diesem kargen englischen Stil, ohne Charme und ohne gar nichts, mit dreckigen, heruntergekommenen Hinterhöfen und schäbigen Pups dazwischen. So richtig trostlos.
Und dann, nach 5 Minuten Fahrt zum Strand, finden wir den schönsten Sandstrand, den man sich nur vorstellen kann, eingeklemmt zwischen zwei Industriezonen, wo die Leute aber durchaus hingehen und sich treffen. Es gibt einen Kinderspielplatz, einen grossen Parkplatz und einen Kiosk, das war's dann aber auch schon. Wir genossen die Sonne und ein eiskaltes Meer und fühlten uns etwas wie auf einem anderen Stern, vor allem als so ein riesiges Frachtschiff, quasi über unsere "Badi" fuhr... sehr bizarr das Ganze. Man will sich nicht vorstellen, wie das hier ausgesehen haben muss, als all die Schlote noch Feuer spukten und die Gegend wohl kaum die Sonne sah, vor lauter Kohlestaub. Wir holten uns lediglich einen Sonnenbrand.



Bevor wir zurück nach Cardiff fuhren, folgten wir noch einmal den Spuren des "National Trusts" und fuhren zum Aberdulais Tin Works and Waterfall. Das ist ein Wasserfall ein bisschen vom Küstengebiet entfernt, der schon früh als Antrieb für eine Mühle benutzt wurde und auch von Turner gemalt wurde. Später haben sie hier eine Verzinkungsanlage eingesetzt, angetrieben durch ein gigantisches eisernes Mühlerad, das man bestaunen kann und das heute Strom produziert.

 
Ein kleiner Film bringt die Geschichte von Aberdulais näher und zeigt wie die Verzinkung damals funktionierte und wie mit Hilfe von Kinderarbeit und Ausbeutung jemand sehr reich wurde. Die hatten ganz eigene T-Shirts für die Fabrikarbeiter kreiert, die so ungefähr am Bauchnabel endeten, so dass kein Zipfel in die rollenden Walzen, die das heisse Metall platt walzten (angetrieben durch das Mühlerad) kommen konnte. Fasziniert turnten wir in den Ruinen herum und waren froh nach dem Strand und Sonnenschein, nahe bei Wasser und dem Schatten von Felsen zu sein, so dass wir uns etwas abkühlen konnten. Wieder einmal wurde mir bewusst, dass ich von englischer Geschichte aber genau gar nichts weiss.. kein Wunder, wir wurden ja mit deutschen Geschichtsbüchern getrimmt... :-)




Am Abend inspizierten wir den Hafen von Cardiff und stolperten über die gigantische Konzerthalle und das beeindruckende Vergnügungsviertel mit vielen Restaurants, dass dank des schönen Wetters auch sehr gut besucht war.




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